Es ist an der Zeit, ein paar Erkenntnisse über die Funktionsweise unseres Gehirns zu entdecken. Damit meine ich nicht nur das Kopf-Gehirn, sondern das komplexe System der Vernetzung von Kopf und Bauch. Bestimmt hast du das auch schon einmal erlebt: Da fällt dir, wie aus heiterem Himmel, ein Erlebnis oder eine Erfahrung aus der fernen Vergangenheit ein – mit allen Details. Nur durch Nachdenken wärst du nie darauf gekommen. Es taucht einfach auf. Das ist ein Indiz dafür, dass unser Gehirn alles speichert, jede Erfahrung, jedes Gefühl, alle Bilder – unsere ganze Vergangenheit.

Offensichtlich ist das System Gehirn mit einer unendlichen Speicherfähigkeit ausgestattet. Im Alltag nutzen wir nur den Arbeitsspeicher, weil das die Komplexität reduziert und viel Energie spart. Das führt allerdings dazu, dass wir uns eine eigene ganz individuelle Gedanken-Welt konstruieren. Unsere ganz persönliche Blase ...

Einer der Effekte von Meditation kann es sein, sich von diesem ganz persönlichen inneren Gedanken-Konstrukt zu befreien. In der Tradition wird das dann „Erwachen“ genannt. Mit diesem Erwachen kommen wir an die Grundstruktur unseres Seins und damit zu dem, was wir Spiritualität nennen. Wer meditiert, entdeckt allerdings zunächst das scheinbar wirre Hin- und Herspringen der Gedanken. Hier zeigt sich die Funktion der Oberfläche unseres Hirn-Systems: vernetzen. Die Ebene darunter jedoch, in der sich auch der unendliche Speicher unserer Erinnerungen befindet, tickt völlig anders. Hier finden wir das lebensbejahende Grundprinzip in uns, das man „göttlich“ nennen könnte, falls wir uns vom konventionellen Gottesbild befreien können. Auf dieser Ebene sind wir radikal konstruktiv, bejahend. Da gibt es keine Angst, keine Ablehnung, keine Verneinung.

Gerade in diesen Zeiten können wir erkennen, was geschieht, wenn wir ausschließlich mit der Oberfläche unseres Gehirns verbunden sind. Nehmen wir einmal das Beispiel der 10 Gebote. Die sind ursprünglich sicher in guter sozialer Absicht aufgeschrieben worden. Aber warum ist es so schwer, sie in der Wirklichkeit konsequent umzusetzen? Acht von diesen 10 Regeln benennen, was du „nicht“ tun solltest. Und damit bleiben sie auf der Oberfläche des flüchtigen Hirns. Die darunterliegenden Ebenen des Hirns kennen jedoch kein „nicht“. Wenn du also eine negative Affirmation versuchst wie zum Beispiel „Ich will nicht mehr denken“, dann kommt auf der tieferen Ebene des Hirns nur an: „Ich will denken“. Denn auf dieser Ebene gibt es keine Verneinung. Es geht darum, eine Verbindung zu erzeugen zwischen dem oberflächlichen, diskursiven Gehirn und der darunterliegenden Ebene des radikal Konstruktiven. Etwas theatralischer gesagt: um die Verbindung mit dem Göttlichen.
In der Meditation liegt die Chance, den täglichen Wahnsinn mit der dahinterliegenden unendlichen Weisheit in Resonanz zu bringen.

Möge die Übung gelingen.

Gassho
Paul